Während der Bauzeit
Da ich gleich um die Ecke der Baustelle wohne, hatte ich täglich das Glück, mich aus erster Hand über den Fortschritt der Baumaßnahmen informieren zu können. Ich war täglicher Radfahr-Tester entlang der Baustellen-Hauptroute. Das Baufeld reichte etwa von der Westparkbrücke im Norden bis zur Brücke an der Leipartstraße im Südosten.
Die Bauarbeiten begannen am Mittleren Ring Anfang 2009. Der Tunnel wurde im Juli 2015 für den Verkehr freigegeben. Dazwischen lagen sechs Jahre Baustellen-Ausnahmezustand für alle, die durch diesen Bereich fahren mussten oder dort wohnten.
Nach der Verkehrsfreigabe des Tunnels folgten noch etwa ein halbes Jahr, in dem die meisten Auto-Fahrbahnen rund um den Luise-Kiesselbach-Platz ihre endgültige Form annahmen. Auch hier wurde – wie während der Tunnelbauzeit – mit Hochdruck und viel Manpower gearbeitet, um den Kraftverkehr auch an der Oberfläche möglichst frühzeitig wieder regulär fließen zu lassen.
Wer sich jetzt fragt: „Das hört sich ja alles gar nicht so schlecht an – wo bleibt die schonungslose Bestandsaufnahme?“, nur die Ruhe – jetzt gehts los!
Wiederherstellung der Fahrradinfrastruktur
Radler sind bekanntermaßen langsamer unterwegs als Leute im Auto. Deshalb ist es nur recht und billig, dass auch bei den weiteren Baumaßnahmen die Geschwindigkeit gedrosselt wurde. So wurden erst einmal gefühlt 90 Prozent der Bauarbeiter abgezogen, damit zu Fußgänger und Radler nicht unnötig durch den Anblick arbeitender Menschen gestört wurden.
Einen Fehler beging man offensichtlich beim Bau der Radwegverbindung Richtung Norden zwischen Murnauer Straße und dem Altenheim am Nordende des Platzes. Denn diese war, bis auf ein etwa 200 Meter langes Teilstück im Süden, bereits zur Tunneleröffnung fertiggestellt.
So blieb die gesamte Strecke kurzerhand über ein Jahr gesperrt und Radfahrer konnten stattdessen alle Umwege und zusätzlichen Gefahrenstellen in Ruhe genießen.

Im Winter wurde ganze Arbeit geleistet
Das oben genannte Schneckentempo beim Fertigstellen der Fuß- und Radwege hatte noch den guten Nebeneffekt, dass die Radweg-Baustelle über zwei weitere volle Winter lang hinausgezögert werden konnte. Und besonders im Winter wurde erfolgreich der letzte verbliebene Radler vom Drahtesel ins wohlig-warme Auto gelockt. Erst im Dezember 2017 wurde das letzte Radweg-Teilstück freigegeben – zweieinhalb Jahre nach Tunneleröffnung.
Ein schönes Beispiel war in der Garmischer Straße zu bewundern. Auch hier wurde nicht planlos vorgegangen. Mit Bedacht wurde zunächst die noch nicht gekennzeichnete Fahrradspur der Fahrbahn mit Leitbaken verstellt, sodass sie nicht aus Versehen vom Schneeräumfahrzeug befahren werden konnte.

Somit war es für alle Radler offensichtlich: da muss es doch einen separaten Pflichtradweg geben! Und kaum sah man sich um, schon lag er zehn Meter daneben in voller Pracht vor einem: 80 Zentimeter ungeräumter Notpfad ohne Hoffnung auf Durchkommen. Auftrag erfüllt: Radverkehr verhindert!

Mit dem Radl in die U-Bahn oder ins Nirgendwo
Eine Stelle werde ich besonders vermissen. Dort landete man als ortsfremder Radler schneller als geplant im Zwischengeschoß der U-Bahn. Aber auch das ist positiv zu sehen: Je größer die Verletzungen des gemeinen Radlers, desto größer der Lerneffekt.

Überhaupt muss einmal generell die übersichtliche Verkehrsführung im Geh- und Radwegbereich nach der Tunnelfreigabe gelobt werden. Der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt wenn es darum ging, Schrankenschutzgitter und Leitbaken so aufzustellen, dass insbesondere Radler nicht nur körperlich sondern auch geistig besonders gefordert wurden.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen
Es gab Bereiche in der Megabaustelle, wo ich es nicht mehr für möglich gehalten habe, dass dort jemals die Baustelleneinrichtungen verschwinden werden. Jedoch rollt nun mittlerweile auch da der Verkehr in regulären Bahnen.
Aber keine Panik! Die Planer hielten auch für die kommenden Jahre genügend Ideen bereit, die den Bereich rund um den Luise-Kiesselbach-Platz zu einem einzigartigen Erlebnis für Radler werden ließen. Besonderes Augenmerk wurde hierbei auf Lichtzeichenanlagen gelegt.
Nur wer als Radler regelmäßig und lange an roten Ampeln stehen darf, ist – wie jeder weiß – ein glücklicher Radler! Das Anfahren bringt Muckis in die Wadeln und beim Warten ist endlich ausreichend Zeit, um über Gott und die Welt zu philosophieren.
Die Mutter aller roten Ampeln
Ein halbes Philosophiestudium kann man beim Warten an einer Ampel am Nordende des Luise-Kiesselbach-Platzes absolvieren. Die Ampel Nr. 781 – die Mutter aller roter Ampeln! Abgesehen von den sieben Sekunden Grünlicht der Ampel verbleiben ganze 83 Sekunden bei Rotlicht. Das ist ein echter Spitzenwert.

Die besagte Ampel ist, wie die allermeisten Fahrradampeln in München, natürlich keine Fahrzeugampel. Sie ist eine Kombi-Ampel mit gemeinsamen Streuscheiben für Fußgänger und Radler. So warten Radfahrer auch noch die längere Schutzzeit der Fußgänger ab – genial! Nur so konnte die enorme Wartezeit für Radler überhaupt erreicht werden.
Die kurze Grün-Zeit dieser Ampel konnte übrigens nur realisiert werden, weil auf das gleichzeitige Grün des rechtsabbiegenden Kraftverkehrs verzichtet wurde, der zweispurig in die Albert-Roßhaupter-Straße geführt wird. Durch die beiden Rechtsabbiegespuren wäre gleichzeitiges Grün für Fußgänger und Radler zu gefährlich.
Wie? Was heißt, zwei Rechtsabbiegespuren sind hier überdimensioniert? Auf keinen Fall, das beweist doch die große Anzahl an rechtsabbiegenden Autos dort – okay, ich habe hier schon mal ein Auto rechts abbiegen sehen, ich schwör!

Übrigens: entlang der gesamten Neubaustrecke gibt es für Radler:
- 8 Fahrzeug-Ampeln (für Autos und Radfahrer),
- 4 Fahrrad-Ampeln (nur für Radfahrer) und gerade mal
- 42 Kombi-Ampeln (für Fußgänger und Radfahrer).
50 mal an Ampeln für Fußgänger warten zu können wäre das Mindeste gewesen, finde ich!
Update
Mittlerweile wurde eine der Fahrspuren in eine Busspur zur Beschleunigung der Buslinie umgebaut. Damit ergab sich auch eine Verlängerung der Grünzeit der genannten Ampel.
Kreuzungsfrei war gestern
Ein Blick weiter in den Südosten der neu angelegten Verkehrsinfrastruktur. Im Kreuzungsbereich zur Passauerstraße mussten sich die Planer etwas Besonderes einfallen lassen. Denn dort verlief der Radverkehr entlang der Heckenstallerstraße vor dem Tunnelbau durch zwei Unterführungen kreuzungsfrei. Das durfte natürlich nicht so bleiben!

Kurzerhand schüttete man die vorhandenen Unterführungen auf beiden Straßenseiten zu und baute oben zur stark befahrenen Passauerstraße wieder – na, wer kommt drauf? Richtig: Kombi-Ampeln! Kein flüchtiges Hindurchhuschen mehr. Nein, auch hier darf nun konsequent meditiert werden.

„Wie geht es noch besser?“, mussten sich die Planer gedacht haben. Wie kann man Radler noch konsequenter ausbremsen? Das mit der Mutter aller roten Ampeln war schon nicht schlecht und der Wegfall der Unterführungen ein Geniestreich.
Aber da geht noch was!
100 Prozent rot
Und da war sie, die wirklich große Idee: Es werden einfach Ampeln so hintereinander geschaltet, dass ein geradeaus fahrender Radler beim Überqueren einer Kreuzung zu 100 Prozent an einer roten Ampel stehen muss. Gibt es nicht? Gibt es doch!
Das Ergebnis kann jeder selbst bewundern. Einfach vom Süden aus der Murnauer Straße zum Luise-Kiesselbach-Platz fahren. Um diese Kreuzung zu überqueren fährt man dort als Autofahrer über exakt eine Ampel. Als Radler darf man parallel dazu vier Ampeln genießen – Kombi-Ampeln natürlich.
Das Geniale daran: eine der Ampeln zeigt immer rot! Ein Überqueren der Kreuzung in einem Rutsch ist somit unmöglich.


Okay, man kann hier natürlich nicht wie jeder Autofahrer einfach geradeaus fahren, sondern muss einer Zick-zack-Strecke folgen. Aber nicht nur bei winterlichen Bedingungen lässt so eine Streckenführung das Herz eines jeden Zweiradfahrers höher schlagen.
Und ganz ehrlich: Jeder Münchner Radler kennt diese lebensgefährlichen Zick-zack-Strecken sehr gut vom Umfahren der U-Bahn-Abgänge und fühlt sich hier gleich heimisch.
Am Heckenstallerpark wird immer schön ausgebremst
Apropos zick-zack: Entlang des Heckenstallerparks wurde bei der südlichen Strecke darauf geachtet, aus einer schnurgeraden Verbindung eine kurvenreiche Strecke zu machen und zwei Umwege eingebaut. Bei Schnee und Eis sollen die unverbesserlichen Radler doch einfach mit dem Auto durch den Tunnel fahren!

Und nicht zu vergessen: Die Fahrrad-Hauptverbindungen nördlich und südlich des Heckenstallerparks wurden natürlich als gemeinsamer Geh- und Radweg angelegt. Nur so konnte die Geschwindigkeit der Radler zum Beispiel durch querende Hundeleinen auf ein erträgliches Maß reduziert werden.
Ende des Radwegs
Aber dadurch konnte der Radverkehr noch nicht ausreichend ausgebremst werden. Deshalb entschied man sich bei einem Teilstück, dieses nicht als Radweg sondern als Gehweg auszuschildern, auf dem Radfahrer nur geduldet sind.

Und wem es nicht passt, hier auf dem Gehweg nur Schrittgeschwindigkeit fahren zu dürfen, der soll halt auf die Fahrbahn daneben ausweichen! Ist dort etwas unübersichtlich wegen der vielen parkenden Autos, Ausfahrten und so, aber die Radler haben ja die Wahl.
Update
Kurze Zeit nach Fertigstellung wurde das Zusatzzeichen „Radfahrer frei“ ohne Begründung entfernt. Radler müssen nun auf der einspurigen dichtgeparkten Straße daneben fahren. Ein Rückbau vormals vorhandener Radinfrastruktur.
Ach ja, Übersichtlichkeit: Hier sticht die Querung von Sachsenkam- und Höglwörther Straße hervor. Dort wurde bewusst auf jegliche Fahrbahnmarkierung und Beschilderung verzichtet, die auf querende Radler hinweisen könnte. Und um den Überraschungseffekt an dieser Stelle noch zu verstärken, wurden zwei Bushaltestellen zwischen die beiden Radfahr-Querungen gelegt, die zuvor südlich davon lagen.

Wer Komfort möchte, soll sich in sein Auto setzen!
Nur die Harten kommen in den Garten. Deshalb wurde penibel darauf geachtet, dass beim Überqueren jeder Fahrbahn als Radfahrer zwei abgesenkte Bordsteine überfahren werden müssen – teils mehrere Zentimeter hoch.

Durch die hohe Verbreitung von gefederten Fahrrädern entfalten diese Stolperstellen zwar nicht mehr ihre volle Wirkung. Aber dennoch: auch mit solchen kostengünstigen Baumaßnahmen kann sicherlich dem einen oder anderen weiteren Radler das Fahrradfahren verleidet werden.
Abkürzen nicht erlaubt
Aufgrund des Baus des Heckenstaller-Troges wurde die Grabbebrücke westlich der Friedrich-Hebbel- und Höglwörther Straße abgebrochen und für teuer Geld durch einen Brückenneubau ersetzt. Dieser hätte nun aber auch für Radfahrer eine Abkürzung von der Sappel- zur Konrad-Celtis-Straße ermöglicht.

Deshalb wurde hier ebenfalls konsequent gehandelt und Radlern dieses Privileg gegenüber Autofahrern durch eine entsprechende Beschilderung verwehrt. Radfahrer müssen draußen bleiben – richtig so!
Update
Nach einigen Jahren wurde an der Brücke das Zusatzzeichen „Radfahrer frei“ angebracht. Somit dürfen Radler nun in Schrittgeschwindigkeit die Brücke benutzen.
Resümee
Eingefleischte Radfahrer in München wissen, wofür der Werbeslogan „Radlhauptstadt“ steht. Und damit sich auch in Zukunft daran nichts ändert, hat man im Bereich des Luise-Kiesselbach-Platzes ganze Arbeit geleistet.
Ganz im Stile der letzten 70 Jahre wurde die Planung der Radverkehr-Infrastruktur umgesetzt: als Abfallprodukt. Sie bietet für Münchner Verhältnisse keine Überraschungen. Leider auch keine Positiven.
Quellen: Google, privat